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Fischerhäfen in Europa

Albertus Looden befuhr als Offizier einst alle Weltmeere - Heute gehört er zu den Top Ten der deutschen Flaschenschiffbauer

Albertus Looden kennt die Weltmeere. Jahrelang fuhr der Norddeutsche als Nautischer Offizier auf den Brücken von flotten Frachtern über die wilden Wellen von Atlantik und Pazifik. Doch erst im weniger stürmischen Fahrwasser als Kapitän der Fähre zwischen Emden und Borkum richtete er sich auf seinem Pott eine kleine Werkstatt ein. Nach der letzten Tagestour saß der erste Mann an Bord dann oft zwischen Holzstückchen, Zwirnrolle und Klebertube an einem kleinen Tisch. Vor ihm ein Schiffsmodell und nicht weit entfernt eine noch leere Flasche. Der Kapitän als Buddelschiff-Baumeister.

Schon in der Schulzeit faszinierten den kleinen Albertus die Modellschiffe seines Onkels. Der enge Verwandte war Mitglied im illustren Club der Kap Hoorniers. Damals wollte der Junge dem Alten nacheifern und versuchte sich an der Schiffsbastelei, noch "dem Daumen nach".

Heute wäre der Onkel stolz auf seinen Neffen. Albertus Looden gehört mittlerweile zu den Top Ten der deutschen Modellbauer. 1993 trat er in die erlauchte Buddelschiffergilde ein. Kaum dabei, kürten die Meister der Zunft seinen Krabbenkutter im Glas schon als Schiff des Jahres.

Schweigende Stunden und eine werkelnde Woche

Loodens Werft liegt heute unter dem Dach seines Hauses in Reppenstedt bei Lüneburg. Auf wenigen Quadratmetern legt der Kapitän a. D. den Kiel seiner Kähne auf einem hölzernen T-förmigen Trockendock auf. Schweigende Stunden und eine werkelnde Woche später läuft ein kleines hölzernes Schiff in seinen Glashafen ein, für immer. Zuvor geht Looden auf Recherche. Besorgt sich detaillierte Bauskizzen, fotografiert wichtige Einzelheiten, plant den Ablauf. Immer wieder fräst, bohrt und leimt nun der Norddeutsche am Rumpf und bastelt dann die kniffligen Kleinigkeiten. Lötet aus Weißblech und Draht Poller zusammen, bringt für die Ankerwinde ein Zahnrad aus einer Armbanduhr an, schnitzt aus Lindenholz einen Magnetkompass, schleift die Bambusmasten oben konisch zu, dreht die Focksegel etwas bauchig über einen Bleistift und härtet sie mit Haarspray.

In der Flasche formt Looden mit Löffel und Spatel marineblaues Meer und wogende Wellen. Was nach simpler Knete aussieht ist simpler Fensterkitt. Nach dem Stapellauf verschließt er den Glashorizont mit einem speziellen Knoten, dem Türkenbund.

Säge, Schere und Schleifpapier, das reicht nicht. Wie kleine Daniel Düsentriebs werkelt die Bastlergemeinde mit selbstgebauten Werkzeugen: einem Esslöffel, an einen Draht gelötet, einem abgeknickten Pinsel oder einer Rasierklinge, auf einen Stock gesteckt. Gerne benutzen die Hobbykünstler steriles Metallbesteck, mit denen Ärzte ansonsten zwischen Zahnwurzeln und Zwölffingerdarm rumwerkeln. Bei Albertus Looden hängen neben der dicken Lupe für die Feinarbeiten zwei medizinische Endoskopiezangen. "Die hat mir ein Chirurg besorgt." Jeder Buddel-Kapitän hat seine eigene Baustoff-Philosophie. Einige haben sich zu VIP-Baumarktkunden hochgekauft.

Albertus Looden bestellt seine Flaschen nach eigenem Design bei einer bayerischen Glasbläserei. "Die sind tatsächlich glasklar." Lange war die meistgestellte Frage: Wie kommt das Schiff in die Flasche? Die schlichte Antwort: Weil die Bastler die Masten mit Drahtscharnieren umlegen können, schlüpft der platte Bootsrumpf mit dem Heck zuerst durch das dünne Flaschenhals-Öhr. Anschließend stellen die Eigner mithilfe von zig Fäden Großbäume und Takelage senkrecht auf. Das klingt einfach, doch jeder Stapellauf ist eine verdammte Fummelei.

Nicht nur bei Anfängern erleidet mancher Kahn in der Flasche Schiffbruch, wenn die Schaumkämme der Kittwellen zu hoch sind oder trotz millimetergenauer Rechnerei der aufgerichtete Mast am Glas abknickt.

Wie das Schiff in die Flasche einläuft, ist geklärt. Und wie fährt es wieder raus? Eigentlich gar nicht. "Außer Sie zerdeppern die Buddel", sagt Looden gelassen.

Wohnzimmer-Werften

Den Wohnzimmer-Werften geht es nicht viel besser als den großen Werften an Nord- und Ostsee. In Kiel, Wismar und Rostock fehlen die Aufträge, in den heimischen Docks fehlen immer öfter diejenigen, die Aufträge ausführen könnten.

Die deutsche Buddelschipp-Gemeinde sehnt sich nach Nachwuchs.

Wann genau das erste Buddelschiff entstand, wissen selbst Historiker nicht ganz genau. Aber die Wissenschafter sind sich einig: Es muss ein Süddeutscher gewesen sein. Denn dort modellierten Mönche und gottesgläubige Dörfler die Leiden Christus oder ihr eigenes tägliches tristes Dasein in stehenden Flaschen, den sogenannten "Eingerichteten", nach. Das älteste noch erhaltene Buddelschiff aus dem Jahr 1784 steht im Lübecker Holstentor-Museum. Damals waren mundgeblasene Flaschen noch unfassbar teuer und zudem meist milchig oder dunkelgrün. Erst als sich am Anfang des 19. Jahrhunderts die Seeleute nicht nur billigen Rum aus dem Fass, sondern auch den aus der inzwischen fast blasenfreien Pulle leisten konnten, hatten sie bei Flaute und Freiwache was Neues zu tun. Aus Holzsplittern, Pech, Tauresten und abgeplatzter Farbe zimmerten die harten Jungs kleine Meisterwerke.

Manch gestandener Seebär soll seine Pullenkunst im nächsten Hafen flugs gegen eine volle Flasche hochprozentigen Fusel eingetauscht haben.

In zahlreichen Buddelschiffmuseen haben die Kunstwerke einen gläsernen Hafen gefunden. Im niedersächsischen Neuharlingersiel stehen 100, darunter die untergehende Titanic. 60 Kilometer östlich, in Greetsiel, liegen im Geburtsort von Albertus Looden zahlreiche Modelle aus der Reppenstedter Werft. Viele der Greetsieler Krabbenfischer, erzählt Looden stolz, haben "von mir ihren Kutter in Miniformat". (Oliver Zelt/Der Standard/rondo/15/10/2010)